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X macht Konsens sichtbar – neues Community Notes Feature gegen digitale Spaltung
© Community Notes (X) via Canva

X macht Konsens sichtbar – neues Community Notes Feature gegen digitale Spaltung

Larissa Ceccio | 06.06.25

Beiträge, die Zustimmung von politisch gegensätzlichen Lagern erhalten, stehen derzeit im Fokus eines neuen Tests auf der Plattform X – also Posts, die ausnahmsweise nicht sofort spalten. Das Community Notes Feature soll damit nicht nur Kontext liefern, sondern auch Konsens sichtbar machen und digitale Polarisierung abschwächen.

Die Debatte über Echokammern und Polarisierung in sozialen Netzwerken ist nicht neu – doch viele Plattformstrategien bleiben bislang reaktiv oder intransparent. Wie herausfordernd es für X ist, Vertrauen durch Community Notes aufzubauen, zeigt sich auch in den Diskussionen über Grok 3, Ads Features und algorithmische Sichtbarkeit. In unserem Beitrag zur Transparenzkrise rund um Grok und Community Notes haben wir die Schwächen des bisherigen Systems bereits aufgearbeitet.


Grok 3 und Community Notes: X setzt bei Ads vermehrt auf KI
– doch Transparenz bleibt auf der Strecke

Grok-Schriftzüge, vertikal, vor schwarzem Hintergrund, säulenförmig
© xAI via Canva


Nun testet X ein neues Feature, das genau dort ansetzt: Ein Community Notes-Pilotprojekt markiert Beiträge, die Zustimmung aus unterschiedlichen politischen oder weltanschaulichen Lagern erhalten – mit dem Ziel, Schnittmengen im Diskurs systematisch sichtbar zu machen und digitale Polarisierung abzubauen. Zumindest legt das die Funktion nahe. Allzu konsequent fügt sich diese jedoch nicht in die bisherigen Maßnahmen von dem Plattformeigner Elon Musk ein.

Daher lässt sich das Ziel, Vertrauen herzustellen, nicht losgelöst von der Plattformpolitik betrachten: Unter Musk hat X in der Vergangenheit wiederholt Inhalte und Positionen verstärkt, die vor allem im rechten politischen Spektrum verortet sind – etwa durch algorithmische Bevorzugung von AfD-nahen Accounts in Deutschland. Auch auf US-Ebene steht X unter Druck: Jüngst entzündete sich ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Musk und Donald Trump. Der eine – Musk – spielt öffentlich auf mutmaßliche Verbindungen Trumps zu Jeffrey Epstein an. Der andere – Trump – droht im Gegenzug, staatliche Förderungen und Aufträge für Musks Unternehmen zu streichen, sollte er erneut ins Weiße Haus einziehen. Die Netzgemeinde? Kommentiert das Ganze wie gewohnt mit Memes, Reaktionsbildern und Ironie.

Ein Hinweis im Feed als Signal für Konsens

Der Probelauf richtet sich an eine kleine Gruppe ausgewählter Community Notes-Mitwirkender in den USA. Das geht aus einem Bericht von Axios hervor. Sie sehen in ihrer Timeline nun gelegentlich einen neuen Hinweis unter bestimmten Beiträgen. Dieser erscheint, wenn frühe Like-Signale darauf hindeuten, dass Menschen mit unterschiedlichen Meinungen einen Beitrag positiv bewerten.

Ein erklärender Post des Community Notes Teams beschreibt die Idee: Wenn Nutzer:innen selbst bei kontroversen Themen gelegentlich zu ähnlichen Einschätzungen gelangen, soll das sichtbar gemacht werden.

So funktioniert der neue Test

Die Teilnahme am Test erfolgt ohne explizite Einladung. Wer Teil des Experiments ist, entdeckt beim Scrollen Hinweise unter bestimmten Posts. Diese basieren auf einem ersten Analysemodell, das frühe Likes aus unterschiedlichen Gruppen erkennt.

Per Klick gelangen sie zu einem strukturierten Feedback-Modul. Dort können sie angeben, was ihnen am Post gefällt oder missfällt. Zur Auswahl stehen unter anderem Optionen wie „It makes a meaningful point“, „It’s unifying on a topic that’s often polarizing“ oder „It doesn’t interest me“. Diese Rückmeldungen fließen in die Entwicklung eines offenen Algorithmus ein, der künftig systematisch Inhalte identifizieren soll, die über Meinungsgrenzen hinweg anschlussfähig sind.

Konsens statt Korrektur: Neue Ausrichtung der Community Notes

Bisher wurden Community Notes genutzt, um potenziell irreführende Inhalte zu kennzeichnen – sichtbar jedoch nur, wenn sich Nutzer:innen mit gegensätzlichen Perspektiven auf die Nützlichkeit der Note einigten. Das führte dazu, dass viele Notes – auch inhaltlich valide – nie im Feed erschienen. Studien des Center for Countering Digital Hate und der spanischen Plattform Maldita zeigen: 73 bis 85 Prozent aller Notes bleiben unsichtbar. Beide Analysen wurden in Beiträgen von Social Media Today thematisiert.

Der neue Ansatz kehrt dieses Prinzip um: Nicht Einigkeit über die Korrekturbedürftigkeit entscheidet über Sichtbarkeit, sondern frühe Zustimmung aus unterschiedlichen Lagern.

Mögliche Auswirkungen auf Plattformlogik und Content-Strategien

Für Social-Media-Verantwortliche und Kommunikationsstrateg:innen eröffnet der Test neue Perspektiven. Inhalte, die über politische oder soziale Grenzen hinweg Zustimmung erfahren, könnten künftig algorithmisch begünstigt werden. Das würde die bisherige Plattformlogik infrage stellen, in der polarisierende Inhalte häufig besonders sichtbar sind.

X betont zwar, dass das neue Feature derzeit keinen Einfluss auf die Reichweite hat. Doch mittelfristig könnten aggregierte Bewertungen in die Sichtbarkeitslogik einfließen. Die Plattform bewegt sich damit an der Schnittstelle von Moderation, Empfehlungsalgorithmus und Nutzer:innenbeteiligung.

Auch andere Tech-Konzerne und -Unternehmen beobachten diese Entwicklung aufmerksam. Meta etwa hat sich Anfang 2025 dazu entschieden, die Zusammenarbeit mit klassischen Faktenprüfer:innen in den USA zu beenden. Seit April setzt der Konzern stattdessen auf community-basierte Mechanismen zur Kontextualisierung von Inhalten – technisch gestützt auf die Open-Source-Infrastruktur von X. Weitere Hintergründe dazu finden sich in unserem Beitrag zum Launch der Communtiy Notes auf Instagram und Co.


Metas Factchecking jetzt beendet:
Facebook, Instagram, Threads erhalten Community Notes

2 halbe Smartphone Mockups mit Community Notes auf Screen, schwarzer Hintergrund
© Meta via Canva


Eine Intervention mit systemischer Relevanz?

Noch ist es nur ein begrenzter Testlauf. Doch die Idee dahinter geht weiter: X will nicht nur Desinformation einordnen, sondern auch zeigen, wo Menschen mit unterschiedlichen Meinungen überraschend oft einer Meinung sind. Beiträge mit geteilter Zustimmung sollen künftig sichtbarer werden – als Zeichen dafür, dass digitale Debatten nicht immer nur spalten müssen.

Die Community Notes bekommen damit eine neue Rolle: Sie markieren nicht mehr nur Konflikt, sondern auch Verbindung. In einer Plattformwelt, die lange auf Lautstärke und Konfrontation gesetzt hat, ist das ein neuer Ansatz – und vielleicht der Beginn eines anderen Umgangs mit öffentlichen Diskussionen.

Gleichzeitig steht dieser Kurs im Kontrast zu vielen Entscheidungen, die X in den vergangenen Monaten getroffen hat. Der Versuch, gesellschaftliche Einigkeit algorithmisch sichtbar zu machen, wirkt wie ein Gegengewicht zur sonst oft konfliktverstärkenden Dynamik der Plattform. Musk selbst hat sich aus Regierungsprojekten der USA zurückgezogen, während er öffentlich mit Trump ringt – nicht auf sachlicher Ebene, sondern mit Tweets, Vorwürfen und öffentlichen Drohungen. Das Netz reagiert wie gewohnt: mit Reaktionsbildern, Ironie – und kollektiver Faszination.

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